Wer in den letzten Wochen am Kuhmühlenteich war, hat es vielleicht gesehen: Ein Blässhuhn, mit einem völlig schiefen Bein, das es gar nicht mehr zum Laufen, sondern nur noch zum Abstützen benutzen kann. „Krüppelchen“, wie ich dieses Hühnchen nenne, hatte ehemals einen Farbring mit der Nummer SP3.
Es wurde im Januar 2011 beringt und seine Beine waren zu diesem Zeitpunkt völlig normal. Bereits im März machte ich über SP3 folgende Notiz: „stürmische Liebesspiele mit dem Partner, einschließlich gegenseitiges Zerren am Halsgefieder.“ Dies ist bei Blässhühnern ein ausgesprochener Beweis für eine leidenschaftliche erotische Beziehung. Im Jahre 2011 hatte Sp3 drei Junge, im Jahre 2012 wurde keine Brut gesehen. Das große Unglück mit dem Bein geschah im Jahre 2013.
Wieder einmal hatte SP3 mit unberingtem Partner gebrütet. Das Brutrevier befand sich am Westufer der Außenalster und die beiden Partner hatten bereits im Mai ein Junges. Im Juli befand sich die Kleinfamilie immer noch in diesem Revier in einem Schilfgürtel. Bei einem Kontrollgang bemerkte ich, dass SP3 seinen Fuß mit dem Aluring beim Schwimmen kaum noch bewegen konnte. Die Verletzung war zu diesem Zeitpunkt wohl ganz frisch, aber ich konnte SP3 nicht helfen. Der Bereich mit dem Schilfgürtel war durch einen Maschendrahtzaun zum Land hin geschützt, so dass SP3 weder Störungen durch Hunde noch durch Spaziergänger zu befürchten hatte. Allerdings war es auch ganz unmöglich das Blässhuhn einzufangen.
So verblieb der verletzte Fuß in einer Fehlstellung und wurde nicht behandelt. SP3 aber überlebte trotz der heftigen Schmerzen, die ihm diese Verletzung bereitet haben musste. Da das Bein nicht eingerenkt oder durch eine Schiene ruhig gestellt wurde, verwuchs es in einem rechten Winkel am oberen Fußgelenk. Sp3 kann nun die Zehen nicht mehr zu auftreten benutzen, sondern stützt sich mit dem gesamten Tarsus ab. Das macht die Fortbewegung mühsam.
Im Oktober 2013 wurde dann der Aluring am verletzten Bein auf das gesunde Bein umgesetzt. Der Farbring wurde entfernt, damit SP3 nicht unnötig behindert wird.
„Krüppelchen“, das ehemalige Blässhuhn SP3, hat eine neue Fortbewegungstechnik entwickelt. Es bewegt sich nur noch hüpfend und mit Hilfe der Flügel fort. So braucht er viel Platz und kann sich in Blässhuhn-Gruppen nicht unauffällig hindurchschlängeln. Die anderen Blässhühner reagieren darauf teils mit Picken und Hacken, teils mit großer Betroffenheit.
Viele bewundern auch seine Zähigkeit und seinen festen Willen, mit den Einschränkungen der Körperbehinderung fertig zu werden. Immer wieder schleicht sich Krüppelchen nahezu unbemerkt an Spaziergänger heran, und lässt sich füttern. Ob es noch tauchen kann, weiß ich nicht, es verlässt aber oft das Gewässer, um Gras zu fressen.
Krüppelchen hat eine ungeheuere und auch unbegründete Zutraulichkeit zu Menschen entwickelt. Es lässt sich sehr gerne aus der Hand füttern und hält so gut wie keinen Sicherheitsabstand zu Erwachsenen und kleinen Kindern. Mir macht es immer etwas Sorgen, dass dieses Blässhuhn so gar keine Scheu zeigt. Immerhin ist es in seiner Fluchtfähigkeit stark eingeschränkt. Es kann nicht zum Fluchtflug starten, denn dazu müsste es Anlauf nehmen können, und es kann auch nicht so schnell rennen wie andere Blässhühner.
Allerdings ist Krüppelchen auch sehr gelenkig. Hier zeigt es seine Fähigkeit, sich mit dem verkümmerten Bein an Kopf und Brust zu kratzen.
Seit über einem halben Jahr überlebt „Krüppelchen“ nun schon mit dieser schweren Behinderung. Ich wünsche ihm sehr, dass es heil durch den Sommer kommt und nicht etwa von einem freilaufenden Hund erwischt wird. Ob es wohl noch mal einen Partner finden und brüten wird?